In Armut gefangen

Kinderreiche Familie im Emmental, um 1940
Im Jahr 2020 betrug die Armutsgrenze in der Schweiz CHF 2279 pro Monat für eine Einzelperson und CHF 3963 pro Monat für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren. 8.5 % der Schweizer Bevölkerung, das sind rund 700 000 Personen, leben unter dieser Armutsgrenze.
Während Jahrhunderten wurde in der Schweiz Armut gesellschaftlich geächtet.
Von Armut Betroffene erfuhren soziale Ausgrenzung und sahen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, an ihrem Schicksal eine Mitschuld zu tragen («selbstverschuldete Armut»). Ende des 19. Jahrhunderts revidierten viele Kantone ihre Armengesetzgebung.
«Armut galt künftig nur als ‹ehrbar›, wenn diese durch Krankheit, Invalidität oder Alter verursacht war. Armen, kinderreichen Familien wurde unterstellt, ihre Nachkommen verwahrlosen zu lassen.»
Mit der Begründung, die öffentliche Ordnung zu schützen, wurden Kinder zum Zweck der Einhaltung gesellschaftlicher Normen und zum Erlernen von Arbeitsdisziplin den Familien entrissen und in Heimen und Anstalten platziert. Verarmte Erwachsene wurden administrativ versorgt und in Zucht-, Korrektions-, Besserungs- und Armenverpflegungsanstalten und zum Teil auch in Strafanstalten eingewiesen, wo sie bis ins hohe Lebensalter zur Arbeit angehalten wurden. Diese Praxis hielt bis weit ins 20. Jahrhundert an.
Hat der Staat das Recht oder die Pflicht, in das Leben von Menschen einzugreifen?